"Am Freitag, den 11. April 2014, habe ich mit einer Eucharistiefeier in der Hauskapelle meinen Dienst als Leiter des Bischöflichen Seelsorgeamtes und Direktor des Tagungshotels St. Ulrich übernommen. Zum 1. April 2014 hatte mich Bischof Dr. Konrad Zdarsa dazu ernannt. Zwölf Geistliche, darunter Weihbischof Florian Wörner und Prälat Dr. Dietmar Bernt, zelebrierten den Gottesdienst mit. Mehr als 120 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus nah und fern füllten die Kirche. Am Schluss des Gottesdienstes sangen wir ein Lied, das in der Wendezeit 1989 entstand: Vertraut den neuen Wegen! Die Predigt widmete ich dem Einzug Jesu in Jerusalem. Wie damals, so stellt sich auch uns als Männern und Frauen im Dienst der Kirche die Frage: Bin ich Zuschauer oder Mitläufer oder ehrlicher Nachfolger(in) Christi?"
Mitläufer, Zuschauer, Begleiter, Esel
Was unser Engagement als Christen ausmacht
von Domdekan Prälat Dr. Bertram Meier
bei der Übernahme der Leitung des Seelsorgeamtes im Haus St. Ulrich
"Als Jesus in Jerusalem einzog, geriet die ganze Stadt in Bewegung." So hat der Evangelist das Ereignis vom Palmsonntag kommentiert (Mt 21,10). Im Rückblick wissen wir, wohin diese Bewegung führen sollte: vom "Hosianna" zum "Kreuzige ihn!", vom "Bad in der Menge" zur "Hetze der Masse". Der Bogen der Erniedrigung, der bei der Krippe seinen Anfang nahm, spannt sich aus nach Golgotha, wo das Kreuz steht.
Vor einiger Zeit hat bei einer Missionsfeier in München ein Bischof aus Sambia ein Wort gesagt, das zu denken gibt: "Ich habe den Eindruck: Europa möchte einen Christus ohne Kreuz." Und er fuhr fort: "Bei uns haben wir das Kreuz, aber viele von uns haben keinen Christus."
Jesus Christus ist nicht zu haben ohne das Kreuz. Gerade in diesen Wochen ist es auch liturgisch ein Blickfang. Wir verhüllen es, wir tragen es in den Prozessionen voraus, am Karfreitag verehren wir es, alle und jeder. Am Kreuz hängt nicht der Tod, am Kreuz hängt das Leben. Wie wir zum Kreuz stehen, davon hängt unsere Einstellung zum Leben ab. Wenn Jesus und mit ihm das Kreuz bei uns Einzug hält, gerät unser ganzes Leben in Bewegung.
Damals wie heute dasselbe Bild: keine einmütige Menge, sondern verschiedene Menschen. Nicht wenige schauen vom Straßenrand aus zu und lassen auf sich wirken, was sich da tut. Andere lassen sich von der Lawine mitreißen und laufen einfach mit, ohne viel nachzudenken. Einige bleiben in der Nähe des "Verrückten aus Narareth". Sie werden zu treuen Begleitern. Wo stehen wir?
Sind wir Zuschauer?
Jesus erwartet schauende, hörende, stille Menschen. Die Liturgie der Heiligen Woche, von der Palmprozession über Gründonnerstag bis zur Osternacht: der Spannung dieser Tage werden wir nur verweilend gerecht. Hat es bei mir schon einmal geknistert und geprickelt - nicht nur im Magnetfeld eines Menschen, sondern aus Liebe zu Christus? Schon damals haben viele gar nicht richtig mitbekommen, was vor sich ging. So auch heute. "Karwoche? Osterzeit? Das steht bei mir nur im Kalender. Ostern geht doch nur die Kinder an!" Ein solcher Mensch ist zu bedauern. Er bleibt außen vor, cool und distanziert. Die Begegnung mit Christus findet nicht statt. Ein Mensch ohne Ostern: "Sie haben Augen und sehen nicht, Ohren und hören nicht..." (Ps 113) Wenn wir im Seelsorgeamt arbeiten und im Haus St. Ulrich Dienst tun, dann können wir Jesus gegenüber nicht Zuschauer bleiben. Wir brauchen Identifikation. Sören Kierkegaard bringt es auf den Punkt: „Es gibt zwei Arten von Christen: den Nachfolger Jesu und die billigere Ausgabe desselben: den Bewunderer.“
Sind wir Mitläufer?
Am Palmsonntag gab es Mitläufer: "Da tut sich was! Das möchte ich mir nicht entgehen lassen. Man muss doch mitreden können. Dabei sein ist alles", ob in der Fußballarena oder bei der Love-Parade. Schon zurzeit Jesu waren die Leute angesteckt von der Sensation des Friedenskönigs. Ein kleiner Jesus-Fanclub kann Massen mobilisieren. Jerusalemer Event-Management!
Sicher gut gemeint. Aber was war dieses Hosanna wert? Eine Eintagsfliege! Denn nicht nur Begeisterung ist ansteckend, auch Haß und Fanatismus. Wenige Tage danach wechselt die Menge den Slogan. Am Karfreitag heißt es: "Ans Kreuz mit ihm" (Joh 19,6). Diese Parole, ausgegeben von wenigen, aber aufgenommen von vielen, treibt Jesus in den Tod, noch ehe ein Richter gesprochen hat. Die Lautstärke der Mehrheit entscheidet über die Wahrheit.
Gibt es nicht auch bei uns viel Mitläufertum? Aus Bildern und Berichten erfahren wir von Aufmärschen. Die Geschichte unseres eigenen Volkes zeigt, wie Massen, zum großen Teil hilflose Mitläufer, einem Unheilbringer "Heil" entgegen schreien und damit ganze Völker ins Verderben brüllen können. Doch es gibt noch subtilere Arten von Mitläufertum: Klischees und Parolen, Gerüchte und Schlagwörter, von wenigen in die Welt gesetzt, aber von vielen gedankenlos nachgeredet und nachgeahmt. Man redet nach, was andere vorsagen. Man tut etwas, weil es die anderen auch tun. Der Mensch, dem die Freiheit so heilig ist, taucht in der Masse ab und überlässt dabei das Denken anderen: "Inkarnation" der öffentlichen Meinung!
Aber die Wahrheit ist verschieden vom Schlagwort. Sie lässt sich weder ertrampeln noch erkämpfen. Die Wahrheit bestimmen keine Massenmode und kein Meinungstrend. Selbst wenn Worte auf sie einschlagen, töten können sie die Wahrheit nicht. "Christ, erkenne deine Würde!" hat schon Papst Leo der Große gesagt. Es ist unter unserer Würde, in der Kirche nur mitzulaufen - weil es nicht viel kostet, nein: weil wir von ihr leben, weil wir bei ihr in Brot und Lohn stehen. Jesus erwartet von uns mehr als stromlinienförmiges Mitlaufen, er ruft uns in den Zeugenstand. Er erwartet unseren persönlichen Einsatz.
Sind wir Begleiter?
Treue Begleiter sind wertvoll und kostbar. Glücklich, wer um solche Begleiter weiß! Es steht mir nicht zu, den Stab über die Apostel zu brechen. Eigentlich waren sie vorgewarnt: Der Menschensohn muss leiden und sterben, aber am dritten Tag wird er auferstehen (vgl. Mt 16,21). Ich hätte mir die sog. Freunde besser vorbereitet gewünscht. Petrus protestiert zwar heftig. Doch später will er Jesus nicht mehr kennen. Was ist eine solche Freundschaft wert? Oder denken wir an den, der sich als Verräter entpuppt: Die Lippen drückt er im Kuß auf seinen Mund. Welche Begegnung der Freunde! Noch begleiten ihn die anderen. Am Ende aber "verlassen ihn alle Jünger und fliehen" (vgl. Mt 26,56).
Ein Sprichwort sagt: Ein Ganzer ist mehr als zwanzig Halbe. Ein ganzer Freund ist mehr als zwanzig halbe. Wie oft geben wir uns mit der Hälfte zufrieden? Nicht nur bei der "halben Portion" im Gasthaus, sondern auch bei der Freundschaft, Partnerschaft und Treue? Die Heilige Woche ist eine Gelegenheit, unsere Halbheiten und Halbherzigkeiten wieder "ganz" zu machen. "Jesus braucht keine Teilzeitkatholiken, sondern Vollblutchristen" (Johannes Paul II.). Ein halbes Herz kann keiner schenken. Wenn jemand ein halbes Herz verschenkt, kann es höchstens ein Schokoladenherz sein. Der Herr möchte unser ganzes Herz aus Fleisch und Blut.
Der Esel
Was wäre der Palmsonntag ohne den Esel? Ein Freund, der mit mir in Rom sein Theologiestudium absolvierte, hat sich einen Vers aus dem Lukas-Evangelium als Primizspruch gewählt: „Bindet den Esel los! Der Herr braucht ihn!“ (Lk 19, 30f.). Ein ungewöhnliches Motto, man stolpert förmlich. Doch irgendwie lässt es auch mich nicht los. Eigentlich trifft es uns alle. „Bindet den Esel los. Der Herr braucht ihn.“ Da ist der Hausmeister, der die technischen Dinge besorgt, während andere als Referenten glänzen. Da sind Küche, Service und Hauspersonal, die den Aufenthalt angenehm gestalten. Da sind unsere Sekretärinnen, die Termine koordinieren, Sitzungen protokollieren und Unwägbarkeiten geschickt jonglieren. Vieles im Hintergrund. Was wären wir ohne sie? Ja, wer sind wir denn überhaupt? Es soll Leute geben, die Karriere machen, indem sie sich menschliche Eselinnen und Esel halten. Bei uns soll es nicht so sein! Wir sind keine Lipizzaner, die ihre Pirouetten schlagen, um Applaus einzuheimsen. Schon eher sind wir Eselinnen und Esel, um den Herrn und sein Evangelium zu den Menschen zu tragen. Das ist unsere gemeinsame Mission. Das gehört zum Profil unseres Hauses. Herr Jesus Christus, ich finde es mutig und groß, dass du dich von uns Eseln tragen lässt. Amen.