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Gottes Gnade ist gratis

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Heute habe ich nach der Pause während der großen Schulferien die Predigten im Dom wieder aufgenommen. Dabei befasste ich mich – wie es die Leseordnung vom 25. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr A) vorsieht - mit dem Gleichnis vom Himmelreich, das von den Arbeitern im Weinberg handelt. Um in den Himmel zu kommen, brauche ich weder einen Tarifvertrag noch kann ich um den Lohn feilschen. Wichtig ist, einmal im Leben – ob früher oder später – eine Grundsatzentscheidung für Jesus Christus und sein Evangelium zu treffen.

Gottes Gnade ist gratis
Predigt zum 25. Sonntag im Jahreskreis A
von Domdekan Prälat Dr. Bertram Meier

Wo kämen wir hin, wenn das Verhalten dieses Gutsbesitzers Schule machen würde? Auch in Zukunft muss gelten: Lohn nach Leistung! Sonst gerät unser ganzes Wirtschaftgefüge aus den Fugen. „Dieses Gleichnis passt nicht in unsere Arbeitswelt, es ist überholt“, könnte man meinen: „Das Leistungsprinzip sorgt doch für eine gewisse Gerechtigkeit: Wer mehr arbeitet, soll auch mehr verdienen.“ Doch ist hier nicht auch eine Schieflage entstanden? Denken wir an die Einkünfte unserer Leistungssportler und die Gehälter von Spitzenmanagern!
Das heutige Evangelium schlägt einen anderen Ton an: „Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Gutsbesitzer …“ (Mt 20,1). Das Gleichnis hat weder politische Herrschaftsbereiche im Blick noch Wirtschaftsimperien, sondern das Reich Gottes. Weder der Besitzer des Weinbergs, der Unternehmer, noch die Arbeiter stehen im Mittelpunkt des Interesses. Es geht auch nicht um Tarifverhandlungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Jesus erläutert die neue Ordnung, die im Himmelreich herrscht, jenseits von Rentabilitätsüberlegungen und Gewinnmaximierung.
Werfen wir zunächst einen Blick auf das Arbeitsleben im damaligen Palästina: Zur Zeit der Traubenlese mussten die Weinbergbesitzer dafür sorgen, genug Arbeitskräfte für die Weinlese zu finden. So ging auch unser Unternehmer auf den Marktplatz, wo sich die Tagelöhner, die Saisonarbeiter, aufhielten und auf eine Anstellung warteten. Tagelöhner waren billige Arbeitskräfte: billiger als Sklaven, da sich der Unternehmer nicht an sie binden musste. Die erste Runde der Anwerbung lief schon bei Tagesanbruch. Nach der Einigung über den Lohn wurden die Arbeiter in den Weinberg geschickt. Der übliche Tageslohn belief sich damals auf einen Denar (Offb 6,6), der jeweils am Abend ausbezahlt wurde (vgl. Lev 19,13). Ein Denar reichte aus, um eine sechs- bis achtköpfige Familie einen Tag lang recht und schlecht über die Runden zu bringen.
Dass der Unternehmer um die dritte Stunde, d.h. um neun Uhr nochmals auf den Marktplatz geht, um Arbeiter zu dingen, ist normal. Dass er zwei weitere Male Arbeiter anwirbt, ist schon eher ungewöhnlich. Völlig aus dem Rahmen fällt allerdings, dass es der Weinbergbesitzer um die elfte Stunde, d.h. um 17 Uhr nachmittags, kurz vor Dienstschluss, noch ein letztes Mal probiert. Diese Anwerbekampagne hat ökonomisch keinen Wert; sie macht keinen Sinn eine Stunde, bevor der Arbeitstag endet. Schließlich muss man bedenken, wer am Abend auf dem Marktplatz arbeitslos zurückbleibt: Die jungen, gesunden Arbeitskräfte waren längst vergeben; übrig blieben vornehmlich die Alten und Behinderten, die Schwachen und Kranken - alles Leute, die schwer vermittelbar sind bis heute.
Genau darin liegt die Pointe des Gleichnisses. Manager und Industriebosse scheinen nach dem Motto zu handeln: „Der Mensch ist bloß Mittel. Punkt.“ Für den Weinbergbesitzer gilt: Der Mensch ist Mittelpunkt. Vor einigen Jahren hat der Chef eines großen Lebensmittelkonzerns von Arbeitslosen als „Sozialmüll“ gesprochen. Wie menschenunwürdig und deprimierend ist eine solche Rede! Die Botschaft des Evangeliums im Hinblick auf das Reich Gottes ist anders: Es gibt keinen „Kirchenmüll“. Auch die Menschen, die sich erst spät bekehren vom Taufscheinchristen zum entschiedenen Christus-Zeugen, die so genannten „Spätberufenen“, die ihrer Biographie nach einer langen Slalomfahrt eine Richtung und ihrem Leben einen christlichen Stil geben, sind kein „Kirchenmüll“. Auch sie haben Platz im Himmelreich.
Damit gehen wir einen Schritt weiter und schauen in die Kirchengeschichte. Für Theologen der alten Kirche war dieses Gleichnis ein Bild für den Lebensweg des Einzelnen: Manche Menschen sind von Geburt an Christen, andere finden in der Jugend zum Glauben, wieder andere bekehren sich als Erwachsene; schließlich braucht es mitunter einen langen Lebensweg, bis jemand nach zum Teil schmerzlichen Erfahrungen von Schuld und Sünde Reue zeigt und versöhnt mit Gott und den Mitmenschen sein Leben als überzeugter Christ beschließt. In diesem Deutungsmuster mahnen dann die Kirchenväter die Christen der frühen Stunde, nicht nachzulassen in ihrer Überzeugung und ihrem Eifer, während sie den Spätberufenen Kraft zusprechen, um ihrer Umkehr treu zu bleiben.
Jeder soll auf seinem eigenen Weg Gott suchen und finden dürfen, ohne sich mit anderen zu vergleichen. Als Lohn bekommen alle einen Denar. Der eine Denar steht nicht nur für den üblichen Tageslohn; er ist ein Bild für das Ganz- und Einswerden mit Gott, für die Versöhnung zwischen Himmel und Erde, für das, was wir Himmelreich nennen. Es gibt keinen ersten, zweiten oder dritten Himmel, und wer sich im siebten Himmel wähnt, fällt schnell aus allen Wolken. Wichtig ist, dass wir in den einen Himmel kommen. Das Wann und Wie ist zweitrangig. In den Himmel kommt man nicht nach dem Leistungsprinzip. Gott bezahlt nicht, er schenkt. Sich mitfreuen, wenn andere beschenkt werden wie ich, das ist nicht immer leicht zu schlucken, geschweige denn zu verdauen. So trifft auch uns mitten ins Herz die Frage, die der Chef an den protestierenden Arbeiter stellt: „Bist du neidisch, weil ich gütig bin?“ (Mt 20,15).
Manchmal braucht es einen langen Weg, bis ein Mensch sich anwerben lässt für den Weinberg des Herrn. Denken wir an die mühevollen Schritte, die der hl. Augustinus setzen musste, um den wahren Gott zu finden! Im Jahre 354 im nordafrikanischen Tagaste geboren, erlebt er eine Zeit des inneren und äußeren Umbruchs. Seine Geburtsstadt wird ihm schnell zu eng. Den Unruheherd zieht es hinaus in die Welt. In jungen Jahren nimmt er sich eine Freundin, mit der er zusammenlebt in einer Art Ehe ohne Trauschein. Ein gemeinsamer Sohn geht aus dieser Verbindung hervor. Heiraten kann – oder will – er das Mädchen nicht. Denn sie sei aus einfacher Herkunft und, wie er meint, für seine Verhältnisse zu wenig gebildet. Augustinus schickt die junge Frau wieder weg. Er leidet unter der Trennung, was ihn auf ein tiefer liegendes Problem verweist: sein Leben in einer leeren und hohlen Gesellschaft. Er spürt, dass seine Vorträge, die ihn berühmt machten, „hohles Geschwätz“ sind. Seine Rhetorik kommt ihm ebenso heuchlerisch vor wie sein Verhalten in der Freundschaft.
Als er schließlich über Karthago mit 29 Jahren nach Rom und kurz darauf nach Mailand kommt, vollzieht sich die Wende in seinem Leben. Augustinus wendet sich Jesus Christus zu: Er lässt sich taufen, empfängt die Priesterweihe und wird fünf Jahre später Bischof von Hippo in seiner nordafrikanischen Heimat. Als Spätberufener mit nicht ganz weißer Weste lässt Augustinus sich anwerben für den Weinberg des Herrn, in dem er vierzig Jahre lang unermüdlich als Seelsorger und Theologe arbeitet. Traurig und dankbar zugleich schaut er später auf die schwierigen und unruhigen Jahre zurück, wenn er bekennt: „Spät habe ich dich geliebt, du Schönheit, ewig alt und ewig neu, spät habe ich dich geliebt. Und siehe: Du warst in mir und ich war draußen und suchte dich dort. Auf das Schöngestaltete, das du geschaffen, warf ich meine Missgestalt. Du warst bei mir und ich war nicht bei dir. Du hast gerufen und geschrieen und meine Taubheit zerrissen. Du hast geblitzt und gestrahlt und meine Blindheit verscheucht. Du hast mich berührt und ich entbrannte nach deinem Frieden“ (Confessiones X, 27,38). Am Leben des hl. Augustinus können wir ablesen, wie aktuell die Einladung des Propheten Jesaja ist: „Sucht den Herrn, solange er sich finden lässt“ (Jes 55,6). Alles hat seine Zeit. Es gibt eine Zeit des Suchens und es gibt eine Zeit des Findens. Es gibt eine Zeit der Freude und eine Zeit des Schmerzes. Und es gibt eine Zeit des Betens! Beten heißt nicht, sich selbst reden hören, sondern still werden, verstummen und warten, bis Gott sich zu Wort meldet. Vielleicht kommt auch in unserem Leben einmal eine Zeit, in der es gut ist, bereits gebetet zu haben.
Mit diesen Gedanken begeben wir uns in die Zeit der Reformation. Martin Luther hat das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg gern genommen, um damit Gottes Güte zu erklären. Gott ist gütig, aber seine Güte lässt sich nicht verrechnen. Gottes Gnade kennt keine Tarife. Sie ist ganz und gar ungeschuldet. So erzähle dieses Gleichnis vom Sieg der Gnade über alles Lohndenken und Verrechenbare. Gottes Gnade übersteigt alle Berechnung.
Damit ist der Bogen gespannt in unsere jüngere Vergangenheit hin zu Papst Johannes Paul I., der bei einer Katechese einem Ministranten gegenüber gesagt hat: „Gott schenkt uns seine Liebe, die niemals untergeht. Wir wissen, dass er stets die Augen auf uns richtet, auch wenn es Nacht zu sein scheint. Er ist Vater, und noch mehr ist er Mutter. Er will allen Gutes. Wenn ein Kind krank ist, liebt die Mutter es noch mehr. Und wenn wir krank sind, wenn wir vom Weg abgekommen sind, haben wir noch einen Grund mehr, vom Herrn geliebt zu werden“ (Audioarchiv von Radio Vatikan September 1978). Dieses Zwiegespräch zwischen dem 33-Tage-Papst und dem jungen Ministranten ist den Audienzbesuchern damals tief zu Herzen gegangen.
Gott ist Vater, und noch mehr ist er Mutter. Gottes Liebe, Gottes Güte, Gottes Gnade ist gratis. Sie rechnet nicht und lässt sich nicht verrechnen. Zwar ist der folgende Text mit dem Titel „Die Rechnung“ eine Geschichte zum Muttertag, aber vielleicht darf sie auch als Auslegung dessen dienen, was Jesus uns im Gleichnis über das Himmelreich sagen will.
Eines Abends, als die Mutter gerade das Abendessen kochte, kam der elfjährige Sohn in die Küche mit einem Zettel in der Hand. Er überreichte den Zettel mit einem seltsamen, amtlich anmutenden Gesichtsausdruck seiner Mutter, die sich daraufhin die Hände in der Schürze abwischte, den Zettel entgegennahm und zu lesen begann:
Für das Jäten des Blumenbeetes: 2 Euro
Für das Aufräumen meines Zimmers: 8 Euro
Weil ich Milch holen gegangen bin: 1 Euro
Weil ich drei Nachmittage auf meine kleine Schwester aufgepasst habe: 12 Euro
Weil ich in der Schule zwei Einser bekommen habe: 8 Euro
Weil ich jeden Tag den Müll raus bringe: 3 Euro
Insgesamt: 34 Euro.

Die Mutter blickte sanft ihren Sohn an. Unzählige Erinnerungen kamen ihr ins Gedächtnis. Dann nahm sie einen Stift, und begann auf einen Zettel zu schreiben:
Für neun Monate lang unter meinem Herzen tragen: 0 Euro
Für alle durchwachten Nächte, als du krank gewesen bist: 0 Euro
Für das viele In-den-Arm-Nehmen und Trösten: 0 Euro
Für das Auftrocknen deiner Tränen: 0 Euro
Für alles, wohin ich dich geführt und begleitet haben: 0 Euro
Für jedes Frühstück, Mittagessen und die Brotzeit: 0 Euro
Für meine Sorge und mein Gebet, das ich dir täglich schenke: 0 Euro
Insgesamt: 0 Euro.
Als sie fertig war, gab die Mutter mit einem Lächeln den Zettel ihrem Sohn in die Hand. Das Kind las es, und zwei große Tränen liefen aus seinen Augen. Dann drückte der Junge den Zettel an sein Herz, und schrieb unter seine eigene Rechnung: alles bezahlt.

Wie die Mutter, so ist Gott. Gottes Liebe, Gottes Güte, Gottes Gnade ist gratis.

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