Am Samstag, den 31. Januar 2015, wurde in Kempten ein Festgottesdienst anlässlich des 50. Jubiläums der Ehe- und Familienseelsorge im Bistum Augsburg gefeiert. Dabei wurde eine Messe uraufgeführt, die Robert Haas komponiert hat. Hier die Predigt, die ich gehalten habe:
Wir haben allen Grund, die Familie zu feiern
Predigt zum Jubiläum 50 Jahre Familienseelsorge am Samstag, 31. 1. 15
von Domdekan Prälat Dr. Bertram Meier
Wie geht es Ihrer Familie? So und ähnlich fragen wir einander. Wie geht es Ihrer Familie? Damit kann vieles gemeint sein: die klassische Familie, deren Grund und Mitte ein Ehepaar ist mit Kindern, aber auch Familie im übertragenen Sinn: die Pfarrfamilie ebenso wie eine Klosterfamilie.
Familie ist wieder „in“, auch wenn gerade hitzige Debatten geführt werden, was denn Familie eigentlich sei. Als die zweifache Goldmedaillengewinnerin Britta Steffen unmittelbar nach ihrem Olympiatriumph in Peking mit der Frage nach dem Geheimnis ihrer mentalen Stärke konfrontiert wurde: „Sind Sie ein gläubiger Mensch?“, kam die spontane Antwort: „Nicht gläubig, ein bisschen abergläubisch.“ Und sie fügte hinzu: „Das bleibt immer das Wichtigste: Familie, Gesundheit, Freund und Freundinnen. Diese Kontakte zu haben ist das Schönste im Leben.“ In drei Sätzen brachte die Sportlerin des Jahres 2008 das zum Ausdruck, was auch repräsentativ nach Meinung der Bevölkerung das Wichtigste und Schönste im Leben ist: Die Familie ist uns Deutschen heilig! Nicht durch Zufall titelt der „Rheinische Merkur“ in einer Weihnachtsnummer: „Partnerschaft, Kinder, das eigene Nest – die neue Glaubensgemeinschaft der Deutschen“ (63. Jg., Nr. 51/52, 18. 12. 2008, S.3).
In gewisser Weise scheint es, als sei die Familie gerade dabei, die Kirchen abzulösen. Was einst von den Kirchen erwartet wurde, wird jetzt als Sehnsucht auf die Familien verlegt. Und damit werden unsere Familien maßlos überfordert. 50 Jahre Ehe- und Familienseelsorge im Bistum Augsburg: ein Grund, um den Finger in die Wunden zu legen, an denen Ehen und Familien heute so sehr leiden. Der Blick auf die heilige Familie soll Ermutigung sein und Trost, dass auch in dieser Familie nicht alles heile Welt war.
Wenn ein katholischer Priester über die Familie predigen möchte, dann sieht er sich in einer gewissen Verlegenheit. Einem unverheirateten Mann kann man schnell entgegenhalten, von der ganzen Materie nichts oder wenig zu verstehen, zumindest was die existentielle Erfahrung und die praktische Umsetzung anbelangt. Zudem sehen wir uns beim Versuch, etwas über Ehe und Familie zu sagen, sofort umringt von einer Schar von Fachleuten, die alle kompetent über das Thema referieren können: Psychologen und Soziologen, Ökonomen und Politiker, Pädagogen und Juristen. Nicht zuletzt gehört das Thema Ehe und Familie zu den Dauerbrennern für Journalisten und Filmemacher. Nichts ist so interessant wie eine Hochzeit bei Hofe oder ein Skandal von Promis.
Was soll der Prediger heute sagen? Er darf das Bild von Ehe und Familie nicht romantisieren. Er darf die heute anstehenden Probleme nicht verdrängen. Aber er sollte die Familie auch nicht in zu düstere Farben tauchen. Nach dem Motto: „Schuster, bleib bei deinen Leisten“, möchte ich die Familie in das Licht des Glaubens rücken.
Die Familie als Gottesgeschenk
Heilige Familie ist nicht heile Welt. Heilige Familie bedeutet vielmehr: das Projekt Familie ist gelungen in Nazareth. Zwar gibt es keine verlässlichen historischen Quellen über die verborgenen Jahre Jesu in seiner Heimatstadt. Aber eines scheint sicher: Dieses verborgene Leben, immerhin dreißig Jahre, war keine Idylle, sondern sehr alltäglich, eben das Leben einer Handwerkerfamilie unter den damaligen, nicht einfachen sozialen Bedingungen.
Zur Menschwerdung des Wortes gehört die Realität einer menschlichen Familie. Dazu zählt auch die Erfahrung lernen zu müssen, was Zusammenleben auf engstem Raum bedeutet. Es verlangt dem Einzelnen viel ab, wie das Aushalten von Spannung und Streit, aber auch die wohltuende Erfahrung gibt es, wie kostbar Solidarität und Anteilnahme in schweren Stunden sein können.
So meine ich, dass wir am heutigen Jubiläumsfest den Dank an Gott verbinden sollten für alle heiligen und weniger heiligen Alltagsfamilien, die es heute gibt. Bewahren wir uns angesichts des Geredes über kaputte Ehen und zerrüttete Familien den Blick für die Wirklichkeit der vielen gelingenden Ehen und Familien, von denen unsere Gesellschaft und die Kirche leben. Auch dort, wo menschliches Versagen und Sünde, manchmal auch ein unverschuldetes Geschick Ehen zerstört und Familien ins Schleudern gebracht haben, da haben wir kein Recht, nur das Misslingen anzuprangern und das Kaputte zu beklagen. Wir müssen auch vorsichtig sein, Stäbe über andere zu brechen.
Vielmehr dürfen wir feiern, was Gott uns auch heute schenkt: dass ein Mann und eine Frau in Treue zueinander stehen, dass sie Kindern das Leben schenken und ihnen helfen, ins Leben hineinzuwachsen, dass Jüngere für Ältere sorgen, manchmal bis zum „heroischen Tugendgrad“, etwa bei Pflege, Demenz und schwerer Krankheit. Wir dürfen feiern, dass Gott in sakramentalen Ehen Menschen die Gnade schenkt, auch in Krisen auszuhalten und den Partner mit zu tragen, selbst wenn es bis an die Grenzen der Zumutbarkeit geht. Auf diese Weise leuchtet die Treue Christi zu seiner Kirche zeichenhaft auf.
So können wir danken für unsere Familien, in denen wir leben, die uns getragen haben. Und wir dürfen auch danken für unsere Familien im weiteren Sinn, die Pfarrfamilien und Klosterfamilien. Gerade letztere sind hoch aktuell und modern: Ist nicht ein Kloster so etwas wie ein Mehr-Generationenhaus?
Die Familie als Schule des menschlichen und christlichen Lebens
Das Zweite Vatikanische Konzil macht der Familie ein großes Kompliment: Sie sei eine Art „Hauskirche“, in der der Glaube bezeugt, gefördert und weitergegeben werden soll (Lumen gentium, Nr. 11).
Zwei Gesichtspunkte sind mir als Seelsorger dabei besonders wichtig:
Die Familie ist eine Schule des Glaubens. Sie hilft, (junge) Menschen in das Gottesgeheimnis einzuführen. Eine Grundaussage unseres Glaubens lautet: Du bist ein von Gott geliebtes Kind. – Das kann man nur glauben, wenn man erfahren hat, was es heißt, von einem Menschen angenommen und gewollt zu sein. Die Geborgenheit in den Armen von Mutter und Vater, die Gemeinschaft von Geschwistern, von Angehörigen und Freunden: Das alles ist „Einführung in das Christentum“, um den Titel eines Bestsellers von Joseph Ratzinger (Papst Benedikt XVI) aufzugreifen. Vater- und Mutterliebe, und auch das Miteinander unter Geschwistern sind in der Heiligen Schrift Hinweise auf eine größere Liebe, die uns auch und gerade dann noch trägt, wenn irdische Bindungen zerbrechen.
Ein Zweites kommt hinzu: Die Familie ist eine Schule der Vergebung. Es gibt keinen Ort, wo das besser eingeübt werden kann als in der Familie: die Erfahrung, im Loslassen und Verzeihen nicht ärmer, sondern reicher zu werden. Und was die Familie besonders auszeichnet, ist der geschützte Rahmen, in dem diese Schule der Vergebung stattfindet. Hinfallen und Sich-Verletzen, Scheitern und Versagen bleiben in diesem geschützten Raum. Meine Haut wird nicht zu Markte getragen. Ich verliere nichts, ich kann nur gewinnen, wenn ich vertraue und neu anfange. Diesen Vertrauensvorschuss, der in der Familie grundgelegt wird, kann später ein Psychologe oder Therapeut nur schwer nachholen. In der Familie wird mehr gelernt als gute Manieren und artiges Danke-Sagen. Hier wird das Fundament gelegt für die Fähigkeit, anderen zu vertrauen und ein Lebenshaus zu bauen, in dem Barmherzigkeit und Vergebung groß geschrieben sind. Diese Schule ist durch nichts zu ersetzen.
Wie geht es Ihrer Familie?
Das heutige Fest ist eine Einladung, uns neu in unsere Familien einzubetten und das viele Gute zu sehen, das sie uns schenken. Und zugleich ist es ein Gebetstag für unsere Familien mit ihren Nöten, aber auch mit ihrem Segen.